Die Bedeutung des Zufalls in meiner abstrakten Malerei
Schon im 15. Jh. erläuterte Leonardo da Vinci in einem Traktat einen Vorgang, der als Zufallsmethode in der Kunst beschrieben wurde. Er spricht von Steinen und Mauern, die schon ihre Werke in sich tragen. Es heißt dort, wenn man offen genug sei, könne man Figuren, Landschaften und ganze Schlachten nicht nur in Mauern erkennen, sondern auch in Wolken, Schlamm oder Feuer. Leonardo beschreibt dies als sehr hilfreich und es könne als Künstler nie schaden, den Geist für solche Dinge offen zu haben. Im 17. Jh. wurde diese Methode auch Florentiner Mosaik genannt, da besonders in Florenz diese Steinbilder hergestellt wurden. Die Konturen auf den Steinen wurden zur Verdeutlichung des Motivs angemalt oder Motive wurden hinzugefügt, um die Maserung des Steins hervorzuheben.
Der Zufall, die Erfahrung der Kontingenz, ist geradezu das Signum unserer Zeitepoche. Das gilt besonders für die Kunst, vor allem für die experimentellen Künste der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Der Erforschung des Kontingenten im Sinne einer „Arbeit am Zufall“ hat sich insbesondere der Dadaismus verschrieben. Der Zufall fungiert als „Einbruch des Anderen“, dessen, was keinen Grund besitzt und sich dem Verstehen verweigert. Das Erwart- und Berechenbare wird außer Kraft gesetzt. So stellt sich natürlich die Frage nach der Aussagekraft abstrakter Bilder. Drücken sie eine Art Zeitstimmung aus oder ein Unbehagen an einer gesellschaftlichen Situation ? Eine Antwort darauf bleiben die Bilder schuldig. Stattdessen spielt das dialektische Zusammenspiel von Zufall und Struktur, von Materialität und Mentalität eine entscheidende Rolle.
Der Zufall spielt in meiner Malerei eine bedeutende Rolle. Wie auch bei meinem Vorbild Gerhard Richter ist der Malprozess nur bis zu einem gewissen Grad von mir gesteuert. Der Zufall begleitet diesen Prozess permanent. Die meist großen Formate sind vielschichtig angelegt und weisen eine starke malerische Dichte auf. Die Farbstrukturen trage ich mit Pinseln und der Rakel auf, die über die nassen Farbschichten gezogen wird. Dabei werden bereits aufgezogene Schichten durch neue überlagert, aufgerissen oder teilweise ganz ausgelöscht. Der Farbauftrag mit der Rakel lässt sich nur bedingt steuern, jedoch die Auswahl der Farben sowie deren Schichtung unterliegt vielen Entscheidungen. So verstanden, ist das fertige Bild das Ergebnis einer Art „geplanter Spontanität“ und eines „kontrollierten Zufalls“. Das Zufällige im Malprozess hilft mir, Fehler zu korrigieren, das was ich im spontanen Malakt falsch gemacht habe, zu übermalen oder zu zerstören. Der Zufall ist das Belebende, das Verwandelnde und zugleich Erneuernde im Prozess meiner Malerei. Er ist Garant für das Unvorhergesehene und Überraschende.
Meine abstrakten Bilder veranschaulichen eine Art Wirklichkeit, die nicht einfach mit Worten beschrieben werden kann, sondern eigentlich erst durch das Bild selbst zur Realität wird.
Johann Georg Ludwig, Detmold 2020